Mignon

Johann Wolfgang von Goethe

    (1749 -1832)

Kennst du das Land. wo die

Zitronen blühn.

Im dunklen Laub die Goldorangen

   glühn.

Ein sanfter Wind vom blauen

Himmel weht,

Die Myrte still und hoch der

Lorbeer steht,

Kennst du es wohl ?

Dahin ! Dahin

Möcht' ich mit dir, o mein

Geliebter, ziehn !

Kennst du das Haus? Auf Säulen

ruht sein Dach,

Es glänzt der Saal, es schimmert

das Gemach,

Und Marmorbilder stehn und sehn

mich an,

Was hat man dir, du armes Kind,

getan ?

Dahin! Dahin

Möcht' ich mit dir, o mein

Beschützer, ziehn.

Kennstdu den Berg und seinen

Wolkensteg ?

Das Maultier sucht im Nebel seinen

Weg :

In Höhlen wohnt der Drachen alte

Brut ;

Es stürzt der Fels und über ihn die

Flut,

Kennst du ihn wohl ?

Dahin ! Dahn

Geht unser Weg ! O Vater, laß uns

ziehn !

II

Nur wer die Sehnsucht kennt

Weiß, was ich leide!

Allein und abgetrennt

Von aller freude,

Seh' ich ans Firmament

Nach jener Seite.

Ach ! der mich liebt und kennt

ist in der Weite.

Es schwindelt mir, es brennt

Mein Eingeweide.

Nur wer die Sehnsucht kennt

Weiß, was ich leide !